Prozessbericht 30.11. – 2. Termin Berufungsverhandlung Luwi71-Besetzung

Beginn und Anträge der Verteidigung

Zu Beginn der Verhandlung stellte die Verteidigung einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens, da sie aufgrund der Ereignisse des vorigen Verhandlungstages die Rechtmäßigkeit des Prozesses anzweifelt. Die Verteidigung begründet dies damit, dass in Bezug auf das martialische Auftreten von ca. 10 vermummten LKA-Beamt:innen im Gerichtsgebäude und dem überraschenden Abführen der Angeklagten bei gleichzeitiger Anwesenheit eines Bild-Journalisten eine Zusammenarbeit von Gericht, Staatsanwaltschaft, Polizei und Presse bei den Ermittlungen in einem gänzlich anderen Verfahren vermutet werden kann. Diese beeinflusst die hiesige Verhandlung in einer Weise, dass die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens dem Verfolgungseifer in dem anderen Verfahren geopfert wird. Sie befürchtete außerdem, dass diese massive Repression die Sicht der Richterin und Schöffen auf die Angeklagten beeinflusst haben könnte. Um dem Polizeieinsatz nachzugehen beantragt die Verteidigung außerdem die Benennung als Zeug:innen von einer Zeugin des ersten Verhandlungstages, die Bild-Journalisten Michael Klug und Karl Keim, welche einen hetzerischen Artikel über den vorherigen Gerichtstag geschrieben haben, den Einsatzleiter der Polizei, den Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz, den Landgerichtspräsidenten Kai Deusing, den Pressesprecher Herrn Jagenlauf und die Rechtsreferendarin, welche am Vortag für mindestens zehn Minuten von den vermummten LKA-Beamt:innen davon abgehalten wurde, als Zuschauerin teilzunehmen.

Durch das abfotografieren der Angeklagten wurde außerdem ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung missachtet und gegen die Hausordnung des Gerichts verstoßen.

Auf Rückfrage des Staatsanwalts, verneinte die Verteidigung, dass es sich hierbei um einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin handelte.

In einer etwa 40 minütigen Pause entschieden die Richterin und Schöffen über den Antrag.

Im Beschluss der Richterin wurden der Antrag auf Einstellung sowie die Beweisanträge zurückgewiesen. Die Zeug:innen müssten nicht vernommen werden, da der Polizeieinsatz nicht angezweifelt werde sondern als wahr angenommen werde.
Die Ablehnung des Antrages welcher die eingeschränkte Öffentlichkeit thematisiert begründet die Richterin damit, dass der behauptete Verfahrensverstoß durch Verletzung des Öffentlichkeitsgebots nicht vorläge. Es wäre viel Öffentlichkeit da gewesen und letztendlich konnten alle Zuschauer:innen teilnehmen.
Zudem könne der entsprechende Paragraph keine Anwendung finden, da weder die Richterin die Einschränkung der Öffentlichkeit veranlasst, noch davon gewusst habe.

Einen Verfahrenshindernis bezüglich einer Voreingenommenheit der Kammer, sieht sie ebenfalls nicht. Die Kammer sieht sich nicht als befangen oder voreingenommen, die Maßnahmen gegen die Angeklagte beträfen nicht dieses Verfahren, welches unabhängig von dem anderen geführt werden würde.

Zeugenvernehmung Heng

Daraufhin beginnt die Zeugenvernehmung des damaligen Eigentümers des Gebäudes in der Ludwigstraße 71, Udo Heng.

Heng erzählte, dass er seit 2017 Eigentümer des Hauses war, mittlerweile ist er das nicht mehr. Beim Kauf stand das Haus schon etwa 10 Jahre leer und war heruntergekommen, er hatte nichts daran bauen lassen. Er wäre bis 2019 regelmäßig am Haus gewesen, danach nur noch wenn er in der Stadt war. Er meinte er hätte ein Schloss mit Riegel an der Tür anbringen lassen und öfters beim vorbei laufen geprüft ob die Türen verschlossen seien. Er erinnerte sich jedoch weder ob er das Haus zwischen Mai und August 2020 gesehen habe, noch konnte er beide Häuser (69 und 71) sonderlich gut auseinanderhalten.

Von der Besetzung habe er durch einen Anruf der Polizei erfahren. Daraufhin sei er an seinem Haus vorbei gefahren und betont, dass er  von dem Anblick „schockiert“ gewesen sei. Er hatte ein Video gemacht, dass er sich während der Befragung versuchte anzuschauen um seine Erinnerung aufzufrischen. Er konnte nun sagen, dass die Fenster und Tür vorhanden waren, allgemein waren seine Erinnerungen eher rar.

Auf Nachfragen gab er an, dass ihn eine Person der Stadt Leipzig kontaktiert hatte, um mit ihm ein Gespräch über die Nutzung des Hauses zu führen. Diese Kontaktaufnahme schilderte er folgend: Die Stadt habe Interesse gehabt, dass das Haus ein Wächterhaus werde oder ähnlich genutzt wird, um politischen Schaden abzuwenden. Das habe er aber nicht gewollt.

Kurz darauf habe er sich gegen ein solches Gespräch entschieden und einige Tage später eine Anzeige gegen die Besetzer:innen bei der Polizei gestellt.

Die Verteidigung fragte ihn ob er zunächst Gesprächsbereit gewesen wäre, da dies in einem Zeitungsartikel so dargestellt wurde. Dies verneinte er und erklärte, dass er sogar ziemlich sauer war, weil zu dieser Zeit sein Name und der seiner Firma geleaked worden sei und Polizeischutz bekamen.

Wann er zuletzt vor der Besetzung am Haus war und ob dort Transpis hingen, falls ja, wie diese aussahen, entzog sich seiner Erinnerung. Es wäre ihm aber, nach eigener Aussage, egal gewesen. Hin und wieder habe er Transpis an Häusern in der Straße gesehen.
Ihm wurden von der Verteidigung ein Foto vom 1. Mai 2020 aus einem Zeitungsartikel vorgehalten, in dem das Haus mit vier Transpis zu sehen ist, auf einem steht „Besetzt“. Es stellte sich heraus, dass er nichts davon erfahren habe, es ihm aber weder beim vorbeilaufen aufgefallen wäre noch er etwas dagegen unternommen hätte, da er „nicht wollte“.

Auf den Einwand, dass Leute ja das Haus betreten haben müssten um die Transparente aufzuhängen und ob ihm das auch egal sei, meinte er, er kenne sich „mit bauen besser aus“ als die Verteidigung, die Transpis würden sich auch mit Leitern aufhängen lassen.

Es habe niemanden in Leipzig gegeben die:der Verantwortlich gewesen war, nach dem Haus zu sehen. Er wisse nicht genau ob es Schilder mit der Aufschrift „Betreten verboten“ oder ähnliches am Haus gegeben hätte. Die Verteidigung hielt ihm nach Rückfragen seine Zeugenaussage bei der Polizei vor, in welcher er sagte, er wisse nicht ob er Strafantrag gestellt hätte, wenn die Polizei ihn nicht angerufen habe. Ohne diesen Anruf habe er womöglich nichts von der Besetzung erfahren. Außerdem hielt sie ihm vor, dass er in der ersten Verhandlung von einem Handwerker gesprochen hatte, der in der Zeit vor der Besetzung verantwortlich war nach dem Haus zu sehen und dass er den Namen dieses Handwerkers nicht nennen wollte.

Daraufhin sagte er, dass er aufgrund des hohen „Levels der Gewalt gegen Handwerker und Bauunternehmer in dieser Stadt“ diesen Handwerker schützen wollte. Er erinnerte sich aber auch nicht mehr wann genau er diesen Handwerker eingestellt hatte. Zum Zustand des Hauses vor dem 20.08.20 konnte er nichts sagen.

Nach der Besetzung sei der Zustand des Hauses aber ordentlicher als vorher gewesen. Er ließ danach alle Fenster und Türen im Erdgeschoss zumauern, so dass es unmöglich war ins Haus zu kommen, weil er „keine Schwierigkeiten“ mehr haben wollte.

Angesprochen auf die Presseartikel sagte er, dass er während der Besetzung nur mit der Bild-Zeitung gesprochen habe. Er glaube es sei aus den Veröffentlichungen der Presse hervorgegangen, dass er nicht wolle das sich Leute im Haus aufhalten. Daraufhin erinnerte ihn die Verteidigung daran, dass in der Presse stand, er habe Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Hierzu erklärte er, er habe sich nach einem Gespräch mit der Stadt gegen Verhandlungen entschieden und erst einige Zeit später die Räumung veranlasst. daraufhin Gespräche mit der Polizei geführt, wie die Räumung ablaufen kann und diese mit Unterlagen dabei unterstützt. Die Cops hätten mit ihm jedoch weder darüber gesprochen wie genau sie Zugang zum Haus bekommen wollten, noch über eventuelle Beschädigungen im Zuge der Räumung. Für Heng seien Beschädigungen am Haus nicht interessant und nachrangig gewesen.

Auf Nachfragen der Verteidigung gab er an zur Zeit der Besetzung keine konkrete Pläne mit dem Haus gehabt zu haben. Die Frage ob er das Haus als „Ruine“ bezeichnet hätte, verneinte er, höchstens im Affekt gegenüber der Polizei. Daraufhin hält ihm die Verteidigung seine Zeugenaussage bei der Polizei vor, in der er sagte „das Haus ist eine Ruine und nicht bewohnbar“ und dass er plane es abreißen zu lassen.

Auf Nachfrage des Staatsanwalts gibt er an, von der Stadt Leipzig nicht aufgefordert worden zu sein, das Haus nutzbar zu machen und zu renovieren.

Danach wurde er entlassen.

 

Stellungsnahme Verteidigung zum Zeugen Heng

In einer Stellungnahme der Verteidigung zur Zeugenaussage des Eigentümers Heng weist diese darauf hin, dass dieser weder Ahnung hatte was mit seinem Haus passierte, als auch offensichtlich kein Interesse daran. Somit das Haus auch nicht als befriedet im Sinne des Straftatbestands Hausfriedensbruch angesehen werden könne. Sie beantragt außerdem die Ladung der Autorin des LVZ-Artikels zur Besetzung im Mai 2020 welche womöglich bezeugen kann, dass kein Schloss an der Tür war.

Für den Staatsanwalt kommt es für die Beurteilung nicht darauf an, ob ein Schloss an der Tür war.

Die Verteidigung verliest außerdem eine Passage aus der Strafanzeige von Heng in der er sagte, er wäre am 21.08.2020 über die Besetzung informiert worden und dass das Haus nicht bewohnbar wäre, eine Ruine und er plane dieses abzureißen und neu zu bebauen.

Die Richterin entscheidet, die Anträge der Verteidigung zurück zuweisen, da die genannten Fakten keine Relevanz für die Urteilsfindung hätten.

Der Verteidiger des Angeklagten stellte noch einen Beweisantrag für ein Busticket, welches nachweist, dass der Angeklagte am 23.08.2020 mit dem Bus nach Berlin gefahren ist und somit zumindest an diesem Tag nicht im Haus gewesen sein kann. Das Beweismittel wird aufgenommen.

Am Ende werden noch knappe Angaben zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten gemacht und auf die Frage von Vorstrafen eingegangen.

 

Plädoyer Verteidigung

Die Verteidigung fasste zusammen: das Haus war nicht hinreichend verschlossen, über vier Monate hingen die selben Transpis am Haus, ohne dass etwas dagegen unternommen wurde, was das Desinteresse von Heng an seinem Haus verdeutlichte. Der für den Hausfriedensbruch entgegensätzliche Wille des Hauseigentümers, sein zu Haus betreten, war vielleicht vorhanden, aber für niemanden erkennbar. Es wirkte für Besetzer:innen vielmehr wie eine Duldung der Besetzung seit Mai 2020. Eine Räumungsaufforderung hatte es auch nicht gegeben, daher ist nachvollziehbar, das die Besetzer:innen das Haus nicht verlassen haben.

Heng hatte außerdem in seiner Aussage bei der Polizei das Haus als „Ruine“ bezeichnet und dass dieses abgerissen werden sollte. Ein solches Haus ist nicht durch den Hausfrieden geschützt. Daher besteht nicht der Straftatbestand des Hausfriedensbruchs, die Verteidigung plädierte auf Freispruch oder mindestens eine Einstellung nach §153 oder §153a StPO.

Die Schuld der Angeklagten wäre aus den genannten Gründen wenn überhaupt, als äußerst gering anzusehen. Ein öffentliches Interesse an einer Bestrafung ist hier außerdem nicht erkennbar.

Außerdem wurde auf Urteile der 1980erJahre verwiesen, bei denen anders mit Besetzenden umgegangen wurde. Es hätte entweder keine Anklage gegeben, es hätte zu einer Einstellung geführt oder aber zu einer Strafe am unteren Rand des Strafmaßes. Im 19. Jhd. wurde Besitztum nur als befriedet angesehen, wenn es erkennbar im Zusammenhang mit einer Wohnung stand und deren Hausfrieden teilt.

Plädoyer Staatsanwaltschaft

Der Staatsanwalt argumentiert in seinem Plädoyer dagegen ebenfalls mit Beispielen von Urteilen zu Hausfriedensbruch in den 1980er Jahren, aber führt solche auf, in denen es ausreichte, dass ein Eigentümer den Schutz gegen Betreten physisch erkennbar hergestellt hatte. Eine verschlossen Tür reichte dabei aus, es sei unerheblich ob ein Schloss angebracht oder die Fenster verschlossen waren.

Zudem zeigte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Besetzung eines Gebäudes das Bewusstsein der Besetzer:innen, dass sie fremdes befriedetes Eigentum betraten.

Außerdem argumentierte er, dass das Interesse des Eigentümers, dass das baufällige Gebäude nicht betreten werde, schon aufgrund seiner Versicherungspflicht besonders hoch sei. Dies da er dafür haften müsse, wenn sich Menschen dort verletzten. Aufgrund des Baurechts dürfe der Eigentümer entscheiden, wann und was er an seinem Haus baut und nur bei Wohnungsnot könne er dazu verpflichtete werden zu renovieren und Wohnraum zu schaffen. Dieser Prozess dürfe aber nicht durch eine Besetzung abgekürzt und dieser dadurch erzwungen werden.

Der Staatsanwalt ist des weiteren von der Wiederholung der Taten durch die Angeklagten überzeugt. Dies sei in der Prozesserklärung erkennbar geworden, in der die Angeklagten Besetzungen generell rechtfertigen.

Er plädierte daher für eine Strafe nicht unter 30 Tagessätzen.

 

Dem folgte eine Stellungnahme der Verteidigung zum Plädoyer des Staatsanwalts.

Es wäre zu berücksichtigen, dass durch die Besetzung, einer dauerhaften Kundgebung vor dem und durch Transpis am Haus auf die Themen Gentrifizierung und Leerstand aufmerksam gemacht wurde, um auch die Stadt dazu zu bewegen, baurechtlich einzugreifen.

Außerdem wurde auf den viel sinnvolleren Umgang mit Besetzungen in der Schweiz hingewiesen. Dort findet keine Räumung eines Hauses statt, wenn der Eigentümer zur Zeit der Besetzung keinen Bau- oder Nutzungsplan vorzuweisen kann.

Durch die Verteidigung wurde auch angezweifelt, dass der Vorwurf Hausfriedensbruch und das Strafrecht überhaupt ein geeignetes Mittel im Umgang mit Hausbesetzungen darstelle.

 

Letztes Wort

Dann verlas die Verteidigung stellvertretend das letzte Wort der Angeklagten:

„Wir können viele Gründe nennen, warum Besetzungen sinnvoll sind, warum es Freiräume braucht und warum Eigentum keinen Sinn ergibt. Texte dazu gibt es aber bereits viele, das Rad neu erfinden wollen wir heute auch nicht, da es schlicht nicht notwendig ist.

Wir wollen auf die absurde Repression hinweisen. Festzustellen ist, dass besonders in Leipzig die Repression zugenommen hat. Haufenweise Razzien, Observationen und Gerichtsverfahren als Strafe für politisches Engagement. Nicht Herr Heng wird gefragt, was denn jetzt mit seinem Haus sei, sondern die Menschen, die einen Plan mit dem Haus hatten, werden festgenommen und schikaniert.

Wir verstehen es bis heute nicht, warum so ein juristischer Aufriss wegen einer Hausbesetzung gemacht wird. Das DNA entnommen wird, welche dann auch noch weitergehend strafrechtlich verfolgt wird, ergibt einfach keinen Sinn. Aber was sollen wir erwarten? Unsere Solidarität gegen diese Repression ist Unverzichtbar.“

 

Nach einer Unterbrechung folgte das Urteil der Gerichts.

Die Berufung wurde abgewiesen.

Das Gericht geht davon aus, dass die Angeklagten im Haus waren, auch wenn der Zeitraum unklar bleibt. Als Beweise dienten u.a. Spuren der Angeklagten die im Haus gefunden wurden. Da das Haus verschlossene Türen, egal ob mit oder ohne Schloss, und Fenster hatte, sei es als befriedetes Eigentum anzusehen. Trotz der seit Monaten am Haus hängenden Transpis sei nicht davon auszugehen, dass der Eigentümer mit dem Betreten des Hauses einverstanden gewesen wäre.

Sein Interesse, dass Unbefugte sein Haus nicht betreten, sei schon allein durch seine Versicherungspflicht, dass Personen im Haus nicht zu Schaden kommen, gegeben. Das Versammlungsrecht würde in diesem Fall nicht greifen, da sich die Menschen auch vor dem Haus versammeln hätten können.

Es würde aber berücksichtigt, dass beide nicht vorbestraft sind. Auch der Zeitraum wie lange sie sich im Haus befanden unklar sei und sie im Haus keinen Schaden angerichtet, sondern sogar aufgeräumt hätten. Somit nur das Eigentumsrecht verletzt wurde.

Insbesondere aufgrund der Prozesserklärungen in denen Besetzungen als notwendig dargestellt und Eigentum abgelehnt wird, sieht die Richterin eine Strafe als erforderlich an. Sie verurteilt die beiden zu 30 Tagessätzen a 14€. Die Angeklagten müssen die Kosten des Verfahrens tragen.

Damit bleibt das Urteil unverändert, wie in der ersten Instanz.